Skip to content

Rückkehr ins Reich der Mitte

 

Den zwei Wochen in China verdanken wir auch in diesem Jahr wieder unvergessliche Eindrücke, gleichzeitig haben uns diese beiden Wochen wieder alles abverlangt. Auch 2017 war es, obwohl wir dachten, wir hätten uns auf alles vorbereitet, ein großes Abenteuer, das uns immer wieder vor kaum lösbare Aufgaben stellte. Wie im letzten Jahr durften wir die zwei Wochen mit einer Profiband erleben, diesmal mit Lothar Krist‘s Hot Five, was auch in diesem Jahr ein schönes Miteinander war.

Über Frankfurt fliegen wir am 11.7. nach Shanghai. Dort werden wir direkt vom Flughafen zum Auftrittsort gebracht. Wir hatten uns nach den großen Problemen mit dem Transport der Instrumente im letzten Jahr dafür entschieden, keine Tenorsaxophone, kein Baritonsaxophon und keinen E-Bass mitzunehmen. Die anderen Instrumente hatten wir diesmal wie erhofft problemlos im Handgepäck mitnehmen dürfen, mussten aber darauf bauen, dass wir die nicht mitgenommenen Instrumente vor Ort geliehen bekommen. Das war aber gründlich vorbereitet worden: Für jedes Instrument waren nicht nur exakte mögliche Produktnamen benannt, sondern jeweils auch ein Bild eingereicht worden. Außerdem wussten wir ja aus dem letzten Jahr, dass es in China genug Menschen gibt, die sich mit solchen Instrumenten gut auskennen. Theoretisch. Aber statt der erhofften Instrumente werden uns in Shanghai zwei Sopransaxophone (statt Tenorsaxophone), eine E-Gitarre (statt E-Bass) und Baritoneuphonium (statt Baritonsaxophon) präsentiert. Immerhin ist die Backline (Drumset, Flügel, Verstärker) in Ordnung. Aber es sind nur noch wenige Stunden bis zum Konzert und die Chinesen telefonieren wild umher und behaupten, dass es die gewünschten Instrumente in Shanghai nicht geben würde. Erst ganz kurz vor dem Konzert kommen wenigstens E-Bass, Baritonsaxophon und ein Tenor. Unsere Tenoristen müssen sich ablösen, je nachdem, welche Stimme wichtiger ist. Dass man sich vor einem solch großen Konzert gern auf einem unbekannten Instrument erst einmal einspielen würde, von derart luxuriösen Umständen haben wir uns zu diesem frühen Stadium der Fahrt schon verabschiedet.

Herr Thiemann wird plötzlich hektisch aus dem Bachstagebereich geholt: Der deutsche Botschafter sei da und wolle den Bandleader begrüßen. Herr Thiemann wird an verschiedenen Sicherheitsschleusen vorbeigeführt und immer wieder in die Obhut anderer Chinesen übergeben, dann in ein Separee geleitet und von dort von sehr höflichen Chinesen direkt in die Ehrenloge der Konzerthalle. Dort ist aber niemand, der auch nur annähernd europäisch aussieht. Herr Thiemann wird deutlich gemacht, dass er sich setzen solle, obwohl das Konzert in wenigen Minuten beginnen soll. Da kommt der Verdacht auf, dass die Chinesen im Separee offenbar ihn für den Botschafter halten, worauf Herr Thiemann sich nicht um die nervösen Chinesen kümmert, sondern zurück zum Backstagebereich stürmt. Dort ereilt ihn folgende Nachricht: Lothar Krist’s Hot Five dürfen wegen nicht genehmigter Gesangstexte nicht auftreten. Die KKS Big Band muss das ausverkaufte Konzert allein bestreiten. Hui! Schnell noch fehlende Noten aus der Künstlergarderobe holen – wir wollen schon die Bühne betreten -, da ändert sich erneut alles, immerhin zum Guten. Offenbar ist auf dem kurzen Dienstweg nach ganz oben eine Ausnahmeregelung erwirkt worden. Die Hot Five sind wie ursprünglich geplant zuerst dran, dann kommen wir, dann zwei chinesische Künstler (ein Virtuose auf einer altchinesischen Zither und eine Sängerin) und dann am Schluss noch alle zusammen das von chinesischer Seite gewünschte Stück: Auld Lang Syne. Okay. Die Tonart war im Vorfeld nicht in Erfahrung zu bringen. Herr Thiemann hatte deswegen das Stück ein bisschen jazzmäßig harmonisiert und mit der Melodie in vier naheliegenden Tonarten ausgedruckt. Damit würden wir hoffentlich gewappnet sein. Eine gemeinsame Probe hatte aufgrund der Umstände nicht mehr stattfinden können. Wir stehen also auf der Bühne, doch die Chinesen kommen nicht raus. Dann die Ansage: Es muss losgehen, Herr Thiemann, Sie müssen dirigieren. Okay, Herr Thiemann ruft eine Tonart in die Runde, zählt an und schon geht es los. Die Hot Five gesellen sich dazu, durch Gestik und Mimik verständigen sich Herr Thiemann und Lothar Krist, der daraufhin ein sehr schönes Solo über die Akkorde spielt, dann noch einmal das Thema. Das alles klingt trotz der Einstimmigkeit (wir wollten uns ja nur an die Chinesen dranhängen und hatten keine Zeit mehr ein Arrangement zu schreiben) erstaunlich gut. Ist ja auch einfach eine schöne Melodie. Puh. Erstes Konzert geschafft. Warum die Chinesen das selbst gewählte Stück dann nicht spielen wollten? Wer weiß. Wie vieles bleibt auch das dieses Jahr für uns unverständlich. Aber wir sind ja wegen des Abenteuers gekommen…

Erschöpft geht es ins Hotel. Anders als im letzten Jahr dürfen wir in Shanghai und Shenzhen wirklich traditionelle chinesische Kultur erleben. Wir besuchen alte chinesische Bausubstanz, verschiedene sehr interessante Museen zu chinesischer Kultur und Geschichte, batiken auf traditionelle Art selbst ein Tuch, malen angeleitet in traditioneller Weise ein Bild, kalligraphieren, drucken im traditionellen Verfahren chinesische Schriftzeichen, schöpfen Papier  und bekommen von dem chinesischen Künstler des Konzertes in Shanghai erklärt, wie die mehrere tausend Jahre alte Zither gebaut und gespielt wird. Toll.

In Shanghai dürfen wir außerdem die Skyline bei Nacht erleben und warten bei unfassbarem Gedränge fast eine Stunde, bis wir auf den sehr beeindruckenden Fernsehturm fahren dürfen. Wir fahren außerdem auf das zweithöchste Gebäude der Welt, den Shanghai Tower, und sehen von dort Hochhäuser bis zum Horizont. Ach, zu Shanghai erzählt Herr Thiemann noch folgende Geschichte: Wir verpassen beim Umsteigen um ca. 23.15 (!!!!) die letzte U-Bahn. Okay, dann mit Taxis weiter. Immer drei Schüler und ein Erwachsener in ein Taxi, es sei nicht weit. Alle Taxis brauchen mindestens ein halbe Stunde (nicht weit!!!?). Mein Taxi fährt aber viel länger und hält schließlich an einer uns völlig unbekannten Stelle dieser 25 Millionen-Metropole. Unser Hotel ist hier definitiv nicht, auch wenn für uns alles ziemlich gleich aussieht. Der Taxifahrer kann natürlich kein Englisch und die von mir hingehaltene Visitenkarte des Hotels, die auch chinesische Schriftzeichen aufweist, ganz offenbar nicht lesen (er scheint, wie jetzt deutlich wird, nicht nur unser Hotel nicht zu kennen, sondern darüber hinaus kurz- und gleichzeitig weitsichtig zu sein, denn er hält die Karte immer prüfend ganz nah vor seine Augen und dann wieder sehr weit weg). Dabei schreit er mich auf Chinesisch an. Ich stammele in meinem schlechten Schulenglisch irgendetwas, was er nicht versteht, worauf er mich noch lauter anschreit. Dann ruft mich Kollege Frühauf mit seiner deutschen Handynummer auf meinem Handy an: “Du wirst es nicht glauben, aber der Taxifahrer findet das Hotel nicht, wir sind irgendwo in dieser Riesenstadt und der Fahrer versteht kein Englisch und schreit mich auf Chinesisch an.“ Doch, überraschenderweise kann ich mir das sehr gut vorstellen. Von der Rückbank schauen mich drei verängstigte Schüler mit großen Augen an. Dann gelingt es mir aber doch mit meinem Handy unsere Reisebegleitung Frau Cao anzurufen (ich habe noch 5% Akku), die ich an den Taxifahrer weiterreiche und alles wird doch noch gut…

Am letzten Abend in Shanghai drängen wir uns schließlich durch Menschenmassen in die U-Bahn und ebenso in dem riesigen Bahnhof, immer begleitet mit dem mulmigen Gefühl, bloß nicht die anderen verlieren, denn dann ist man verloren. Wir fahren mit dem Zug über Nacht schlappe 1700 Kilometer nach Shenzhen, werden abgeholt und in die Guanlan School gebracht, dort werden wir geehrt und müssen völlig unvorbereitet ein 40-minütiges Konzert spielen (Kummer gewohnt, sprechen wir unverblümt uns fremde Chinesen an und leihen uns die nötigen Instrumente und spielen über ein E-Drum).

In Shenzhen spielen wir in der folgenden Zeit noch drei weitere Konzerte, zwei davon in der riesigen Konzerthalle Shenzhens. Einmal mit den Hot Five ein abendfüllendes Konzert und einmal zum Abschluss eines Preisträgerkonzertes des Shenzhener Musikwettbewerbs. Wieder bekommen wir erst auf den letzten Drücker Instrumente und die Technik ist eine Katastrophe. Das Monitoring klappt praktisch gar nicht. Außerdem schläft der zuständige Tontechniker während des Konzertes ein…. Angesichts dieser Umstände schlagen wir uns bei den Konzerten aber sehr gut.

Für die Schülerinnen und Schüler sind diese ersten Tage in Shenzhen besonders aufregend, denn sie wohnen in sehr reichen chinesischen Gastfamilien, die den S’uS sehr viel bieten wollen. Da die aber tagsüber sehr eingebunden sind, geht es dann eben nach den Konzerten noch in Restaurants, von dort in Spielhallen o.ä. und dann zwischen zwei und vier Uhr ins Bett, um dann am nächsten Tag um acht Uhr aufzustehen. Die Gastfreundschaft ist beeindruckend und die Unterbringung in den Familien im Nachhinein eines der Highlights der Fahrt.

 

Nach drei Tagen in Shenzhen ziehen wir um in das Mission Hills Resort Dongguan, das nördlich von Shenzhen liegt. Dort findet das Shenzhen Summer Camp statt. Wir können den Luxus kaum fassen (80 Meter Schwimmbecken, Spa, Fitnesscenter…) und noch weniger, dass hier das Summer Camp stattfindet. Im letzten Jahr hatten unter spartanischen Bedingungen in einem riesigen Internat über 1000 chinesische Kinder und Jugendliche teilgenommen, diesmal sind es weniger als 150. Die erhalten vormittags vier Stunden Instrumentalunterricht in Gruppen bei den Mitgliedern der Hot Five und bei Herrn Frühauf und Herrn Thiemann und entleeren das Kondenswasser ihrer Blasinstrumente auf den feinen Hotelteppichboden. Teilweise gibt es auch am Nachmittag noch Unterricht, aber auch Golfunterricht oder ein Tischtennisturnier. Wie wir später erfahren, hat jedes chinesische Kind dafür umgerechnet 1500€ bezahlen müssen. Die Mitglieder der KKS Big Band können sich nun nach den Strapazen der letzten Tage erholen und die Hotelannehmlichkeiten genießen. Abgesehen von einigen Proben gibt es für sie keine Aufgaben, was auch mal schön ist.

Das Summercamp endet mit einem Konzert im Einkaufszentrum, das am Rande des Resorts liegt. Der Veranstalter hat dafür keine Backline vorgesehen, sodass die KKS Big Band ganz ohne Rhythmusgruppe hätte spielen müssen. Herr Kulasek verbringt darauf den Tag vor diesem Abschlusskonzert in dem Einkaufzentrum und bequatscht dort ansässige private Musikschulen und Clubbesitzer so lange, bis er die Backline (ein Drumset von da, einen Gitarrenamp von dort usw.) zusammen hat. Und tatsächlich ist in China ein Konzert in einer Mall offenbar ein Ereignis, denn das Konzert wird umjubelt und die Band spielt angesichts der erneut widrigen Umstände (der Backstageraum ist eine Bedienstetenkantine in der Tiefgarage, wieder gibt es kein Monitoring, keinen Soundcheck etc.) sehr gut.

Wieder viel zu spät geht es ins Bett, am nächsten Tag geht es nach der Abschlussveranstaltung zurück nach Shenzhen. Dort haben wir noch etwas Freizeit, bevor wir am nächsten Morgen um 6.30 Uhr ohne Frühstück mit dem Bus nach Hongkong aufbrechen. Eigentlich hatten wir mit der Fähre fahren sollen, was viel schneller und bequemer ist, was aber aufgrund eines Taifuns (schon wieder) nicht möglich ist. Wie im letzten Jahr erfahren wir also die umfangreichen und ermüdenden Grenzkontrollen zwischen dem chinesischen Festland und Hongkong: Zweimal müssen wir aus dem Bus und mit sämtlichen Taschen, Jacken, Koffern etc. zu Fuß durch die strengen Kontrollen, bis wir endlich nach drei Stunden in Hongkong sind, dort müssen wir schon wieder (nun zum dritten Mal) den Bus komplett räumen, weil wir jetzt in den Bus für die Stadtführung umsteigen, währenddessen es wie aus Kübeln regnet. Dann aber haben wir aber einen wunderschönen Tag in Hongkong. Wir fahren auf der Insel Lantau mit einer Seilbahn auf den Ngong Ping, einen Berg, auf dem ein 34 Meter hoher Bronzebuddha thront. Dort besichtigen wir ein buddhistisches Kloster und genießen die Aussicht auf kleine vorgelagerte Inseln und das Südchinesische Meer.

Danach fahren wir auf den berühmten Victoria Peak, mittlerweile ist das Wetter aufgeklart und wir haben strahlenden Sonnenschein, von dem man eine wunderbare Sicht auf die Skyline Hongkongs hat. Nach einem letzten chinesischen Abendessen (O-Ton der Reiseführerin: „Keine Sorge bei uns in Hongkong gibt es strenge Gesetze, bei uns bekommt man nicht Ratten-, Hunde- oder Katzenfleisch vorgesetzt wie auf dem Festland.“ Schluck!) laufen wir zur Promenade und haben einen unvergesslichen Blick auf die Skyline Hongkongs im Dunkeln.

Dann geht es zum Flughafen und der Puls steigt angesichts der Erlebnisse im letzten Jahr, als man uns wegen der zahlreichen Instrumente nicht an Bord lassen wollte und wir erst nach zähen Verhandlungen und der Intervention der Besatzung des Fliegers, die zufällig vorbeigekommen war,  auf den letzten Drücker das Flugzeug betreten hatten: Werden wir diesmal mehr Glück haben? Aber zum Erstaunen aller wird es ganz einfach. Am Gepäckschalter gibt es eine deutsche Lufthansamitarbeiterin, die wir ansprechen und die die Ausnahmegenehmigung für die Musikinstrumente durchsetzt, sodass wir ganz ohne Probleme, ohne Zeitdruck und ohne Taifun abfliegen können. Fast schon langweilig. Etwas zerknautscht, aber ohne Probleme beim Umsteigen in Frankfurt und sogar ohne Kofferverlust kommen wir am 25.07.2017 glücklich in Hannover an.

IMG_0453

(Thi)

An den Anfang scrollen