Quo vadis, Europa?
VIER SCHÜLER ERGRÜNDEN IN STRAßBURG EUROPAS HEUTE UND MORGEN
Die öffentliche Wahrnehmung Europas hat sich verändert; die Insigne von Freiheit und Frieden ist abgestiegen zu einem Mekka für biedere Bürokraten. Eine Union, die angetreten ist, um zu vereinen, dividiert sich auseinander: Eurokrise, Ukrainekrise, Flüchtlingskrise; die Europäische Union ist schon längst kein Fels mehr in der Brandung, kein verlässlicher Rückhalt. Sie ist zerstritten. Sie wird zum Spielball nationaler Interessen. Sie ist schwach. Und wenn Europa schwach ist, ist auch unsere Zukunft schwach. Und weil die Jugend die Zukunft gestaltet, muss sie von Europa überzeugt werden.
Burkhard Balz, Mitglied des Europaparlaments in Straßburg, hat vier Schüler der Käthe- Kollwitz-Schule nach Frankreich geladen, um die Arbeit der Europäischen Union zu erklären. Wir haben uns aufgemacht zum Parlament, im Gepäck reichlich Neugierde, aber auch Ideen und Kritik. Was soll Europa sein? Was kann es sich sein? Was darf es nicht sein? Und die alles entscheidende Frage ist doch, wo diese Union hinsteuert, was sie verbessern will, welche Vision sie hat. Wir tun ihr gewiss nicht Unrecht, wenn wir sagen, zuletzt sei sie vor allem aufgefallen als Spielwiese für ausrangierte Politiker, die gern über Krümmungswinkel von Bananen streiten. Aber die Europäische Union muss viel mehr sein. Und sie ist auch schon mehr. Europa, das sei auch ein »Projekt im großen Stil«, betont eine Abgeordnete, die wir nach den Perspektiven Europas fragten. Ein Projekt, das noch Schliff verdiene, doch aber schon besser sei, als die meisten Medienberichte verlauten ließen. Wir stimmen ihr zu; die Europäische Union verdient mehr Aufmerksamkeit und Würdigung für ihre Leistung. Auch deshalb waren wir in Straßburg, um zu zeigen, Jugendliche als überzeugte Europäer sind keine Vision mehr. Wir wollen Freiheit und Frieden.
Freiheit und Frieden sind eben keine Selbstverständlichkeit, lehrt uns nicht nur die Geschichte, sondern vor allem doch das Jetzt, welches die Abgeordneten, ja uns alle tagtäglich vor neue große Herausforderungen stellt. Im Europäischen Parlament hatten wir die Chance, Politik für Europa zu erleben; niemals all ihre Facetten, dafür reicht gewiss ein einziger Tag nicht, sehr wohl aber einen ersten Einblick in Aufgabe und Arbeit. Im Europaparlament, da sind pro- und antieuropäische Fraktionen vertreten, und diese klare Trennung ist neu. Und sie ist gefährlich. Wir haben mit Proeuropäern gesprochen, die manchmal hilflos wirken im Umgang mit europakritischen und rechtsradikalen Kräften. Kann man die einfach ignorieren? Wie lange werden sie noch zu ignorieren sein? Und wieso erstarken die gerade jetzt in Zeiten des Friedens, der größten Errungenschaft der EU? Europa ist im Wandel. Die wahren Europäer müssen überzeugen, denn wir alle leben in Europa —und nicht nur deshalb haben wir Europa zu leben.
Marius Müller (Jg. 11)